Oberstudienrat i. R. Klaus Weigel behandelte in seinem Vortrag vom 16 Oktober 2019 die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges auf die Hauptstädte Frankreichs und Deutschlands. Unterhaltung und Wissen miteinander zu verknüpfen, ist Klaus Weigel ein ganz besonderes Anliegen. Er versteht es Geschichte auf fantasie- und humorvolle Art und Weise zu vermitteln – ein Glücksfall für unseren Freundeskreis!
Das Schicksal der beiden Hauptstädte am Ende des 2. Weltkriegs hätte kaum unterschiedlicher sein können: Paris erlebte die Befreiung durch alliierte und französische (FFL) Truppen sowie Kämpfer der Résistance weitgehend unbeschadet, die Reichshauptstadt glich nach dem Ende der “Schlacht um Berlin” eher einem Ruinenfeld.
Blieb Paris von flächendeckenden Bombardements gänzlich verschont, so erlebte Berlin bis zum Kriegsende über 300 Bombardierungen, darunter 35 Großangriffe. Dadurch war der Alltag über die üblichen Beschränkungen (Ausgangssperre, Rationierungen, Zensur und Bespitzelung) hinaus erheblich beeinträchtigt. Ab September 1944 waren alle Theater in Deutschland geschlossen, allein die Kinos nahmen weiterhin – soweit unzerstört – die Aufgabe der propagandistischen Berieselung und ablenkenden Unterhaltung wahr. Dadurch war der Alltag über die üblichen Beschränkungen (Ausgangssperre, Rationierungen, Zensur und Bespitzelung) hinaus erheblich beeinträchtigt. Ab September 1944 waren alle Theater in Deutschland geschlossen, allein die Kinos nahmen weiterhin – soweit unzerstört – die Aufgabe der propagandistischen Berieselung und ablenkenden Unterhaltung wahr.
Die Hauptstädte Deutschlands und Frankreichs: Berlin …
… und Paris
Die Oberbefehlshaber Deutschlands und Frankreichs: Adolf Hitler und …
… Charles de Gaulle am Ende des Zweiten Weltkrieges
Am Ende blieben von Hitlers gigantomanischen “Welthauptstadt”-Plänen für Berlin (“Germania”) nur noch die Modelle Albert Speers. Bei Kriegsende war die Bevölkerungszahl Berlins von 4,3 auf 2,8 Millionen gesunken, nur ein gutes Viertel der Wohnungen war nach Kriegsende unmittelbar bewohnbar, was allerdings keine Rückschlüsse auf den tatsächlichen Zustand der Wohnungen erlaubt. Die Schlacht um Berlin vom Februar bis Mai 1945 forderte enorme Verluste: 170.000 tote und 500.000 verwundete Soldaten (Russen, Polen, Deutsche), 500.000 deutsche Gefangene, zehntausende ziviler Opfer.
Paris hingegen beklagte nach der Befreiung 3.400 Tote und 5.500 Verletzte, aber es hätte alles noch sehr viel schlimmer kommen können, wenn Hitlers Befehl, die Stadt dürfe „nicht oder nur als Trümmerfeld dem Feind in die Hände fallen“, vom deutschen Stadtkommandanten, General Dietrich von Choltitz, befolgt worden wäre. (Ganz ähnlich hatte sich Rüstungsminister Albert Speer geweigert, Hitlers “Nero-Befehl” vom 19. 3.1945 – Zerstörung aller Infrastruktureinrichtungen und Industrieanlagen – umzusetzen.)
Sturm auf den Reichstag in Berlin am Morgen des 30. April 1945 durch Sowjet-Soldaten.
General Dietrich von Choltitz, der Oberbefehlshaber des besetzten Paris, widersetzte sich dem Befehl Hitlers „Paris darf nicht oder nur als Trümmerfeld in die Hand des Feindes fallen.“
Einer der horizontalen Kollaboration beschuldigten Französin wird der Kopf geschoren (“femmes tondues”).
Szene des Films „Anonyma - Eine Frau in Berlin“ Der Film erzählt von den Vergewaltigungen deutscher Frauen durch russische Soldaten am Ende des Zweiten Weltkrieges.
Wie im Reichsgebiet war in Paris neben dem alltäglichen auch das kulturelle Leben durch einschränkende Vorschriften und Eingriffe gemaßregelt und behindert, konnte aber vom Juni 1940 (Kapitulation) bis zum August 1944 (Befreiung) in allen Bereichen durchgehend bedient werden. (Die Filmproduktion etwa erlebte geradezu eine Blüte.) Erstaunlich ist die Tatsache, dass neben systemkonformen und propagandistischen Werken auch Theaterstücke wie Jean Anouilhs “Antigone” (1942) oder Jean Paul Sartres “Die Fliegen” (1943) in öffentlichen Vorstellungen zur Uraufführung gebracht werden konnten, obwohl doch beide Werke als Beispiele von Widerstandsliteratur verstanden werden konnten; die Zensur hingegen sah das offenbar anders.
Die Befreiung der französischen Hauptstadt am 25. August gipfelt im triumphalen Gang de Gaulles über die Champs-Élisée und der Rede vom Balkon des Rathauses: “Paris wurde beleidigt. Paris wurde gebrochen. Paris wurde gepeinigt. Aber Paris ist befreit. Es hat sich selbst befreit. Befreit durch sein Volk mithilfe der französischen Armee und mit der Unterstützung von ganz Frankreich.“
Im Schatten der Befreiung von Paris (und bis zum Jahresende 1944 fast ganz Frankreichs) liegen Ereignisse, die als „Épuration“ (Säuberung, Reinigung) bezeichnet werden: Einerseits die ohne ordentliches Gerichtsverfahren erfolgte Hinrichtung von Kollaborateuren (Größenordnung: 20.000-40.000 Menschen), andererseits die hexenjagdähnliche Abrechnung mit Frauen, die sich mit Deutschen eingelassen hatten („collaboration horizontale“): ihnen werden die Haare geschoren (“femmes tondues”), sie werden entkleidet bis hin zur Entblößung, mit diffamierenden Schildern um den Hals durch die Straßen geführt oder auf Lastwagen gepfercht, öffentlich zur Schau gestellt, der Beschimpfung preisgegeben und in Einzelfällen zu Tode gebracht.
Über das Schicksal der ca. 200.000 deutschen Besatzungskinder (und ihrer Mütter) wurde in Frankreich lange Zeit geschwiegen: Mütter und Kinder lebten in der Spannung „zwischen Stigmatisierung und Integration“ (Suzanne Krause).
In Berlin wurde durch Hitlers Selbstmord und die Kapitulation (8.5.1945) die Alltagsnot der Menschen nicht gemindert, im Gegenteil – die russischen Befreier betätigten sich nicht nur als Räuber und Diebe, sondern auch in erschreckendem Ausmaß als Vergewaltiger. Schätzungen zufolge wurden allein in Berlin zwischen Frühsommer und Herbst 1945 mindestens 110.000 Mädchen und Frauen vergewaltigt. Vermutlich bis zu 90% der durch Vergewaltigung schwanger gewordenen Frauen unterzogen sich einer Abtreibung, meist ohne Narkose. Noch von der NS-Regierung war im März 1945 die Abtreibung nach Vergewaltigung durch Russen erlaubt worden. - Als eines der frühen Zeugnisse zu diesen vielerseits verdrängten Ereignissen erschien 1954 anonym und in englischer Sprache “Eine Frau in Berlin. Tagebuch-Aufzeichnungen vom 20. April bis 22. Juni 1945”; das Buch wurde 2008 mit Nina Hoss in der Hauptrolle (Tagebuch-Autorin Marta Hillers) verfilmt.